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Die EU-Unshell-Richtlinie (Briefkastenfirma)

Die EU-Unshell-Richtlinie (Briefkastenfirma)

Bedeutung für international tätige Unternehmen

In den letzten Jahren hat die Europäische Union (EU) erhebliche Schritte unternommen, um gegen Steuervermeidungsstrategien vorzugehen, die durch sogenannte Briefkastenfirmen ermöglicht werden. Diese Briefkastenfirmen sind Rechtsträger, die wenig bis keine wirtschaftliche Substanz aufweisen und oft nur zu dem Zweck gegründet werden, grenzüberschreitende Steuervergünstigungen zu erlangen. Die Europäische Kommission hat als Reaktion auf dieses Problem die sogenannte „Unshell“-Richtlinie vorgeschlagen, die eine effektivere Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung solcher Strukturen ermöglichen soll.

Die Unshell-Richtlinie (Vorschlag der Kommission: COM(2021) 565) verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass Unternehmen, die innerhalb der EU tätig sind, einen echten wirtschaftlichen Beitrag leisten und keine rechtlichen Konstrukte ohne tatsächliche Substanz zum Zwecke der Steuervermeidung darstellen. In diesem Beitrag geben wir einen detaillierten Überblick über die Richtlinie, ihre Zielsetzung, die betroffenen Unternehmen, die Compliance-Anforderungen und die Folgen, die sich für Unternehmen bei Nichteinhaltung ergeben.


Hintergrund und Zielsetzung der Unshell-Richtlinie

Die Notwendigkeit der Unshell-Richtlinie ergab sich aus jahrelangen Enthüllungen durch globale Medien (z. B. die Pandora Papers und die OpenLux-Untersuchung), die zeigten, wie häufig Briefkastenfirmen innerhalb der EU genutzt werden, um die Steuerlast zu verringern. Die Europäische Kommission hat bereits zahlreiche Maßnahmen gegen aggressive Steuerplanung ergriffen, aber das Problem der Briefkastenfirmen bleibt ein zentrales Thema. Solche Firmen werden häufig dazu genutzt, Steuervorteile in anderen EU-Mitgliedstaaten zu erschleichen, indem sie sich als wirtschaftlich aktive Unternehmen ausgeben, während sie in Wirklichkeit keine oder nur minimale operative Tätigkeiten ausführen.

Ein wichtiges politisches Ziel der EU ist es, den Steuerwettbewerb und aggressive Steuerplanung durch rechtliche Maßnahmen zu bekämpfen. Die Unshell-Richtlinie ergänzt bestehende Vorschriften, wie z. B. die Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD), und erweitert den Rechtsrahmen der EU zur Bekämpfung von Steuervermeidung.


Anwendungsbereich und betroffene Unternehmen

Die Unshell-Richtlinie gilt für alle Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat der EU steuerlich ansässig sind. Dies betrifft zahlreiche Rechtsformen, einschließlich Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und andere Strukturen, die für Steuerzwecke genutzt werden.

Ausnahmen von der Richtlinie: Einige Unternehmenstypen sind ausdrücklich von den neuen Regelungen ausgenommen, darunter:

  • Unternehmen, die auf regulierten Börsen notiert sind,
  • regulierte Finanzinstitute,
  • Holdinggesellschaften ohne oder mit sehr begrenzten grenzüberschreitenden Aktivitäten,
  • Unternehmen mit mindestens fünf Vollzeitbeschäftigten.

Diese Ausnahmen finden sich im Text der Richtlinie zur Bekämpfung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke (2021/0434) und zielen darauf ab, die Richtlinie auf risikobehaftete Unternehmen zu konzentrieren.


Die sieben Schritte des Substanztests

Der zentrale Mechanismus der Unshell-Richtlinie ist der sogenannte Substanztest, der aus sieben Schritten besteht. Diese Schritte helfen den Steuerbehörden, Unternehmen zu identifizieren, die möglicherweise eine Briefkastenstruktur darstellen.

  1. Selbstbeurteilung anhand von Gateway-Kriterien: Unternehmen müssen sich einer Selbstprüfung unterziehen, um festzustellen, ob sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Die Gateway-Kriterien umfassen:
    • Die Art des Einkommens (z. B. passive Einkünfte wie Lizenzgebühren oder Dividenden),
    • das Volumen grenzüberschreitender Tätigkeiten,
    • der Umfang der ausgelagerten Tätigkeiten, insbesondere an Dritte.
  2. Hochrisikounternehmen: Unternehmen, die alle Gateway-Kriterien erfüllen, werden als risikobehaftet angesehen. Sie sind verpflichtet, zusätzliche Informationen über ihre Substanz in ihrer Steuererklärung offenzulegen. Diese Informationen betreffen vor allem drei Hauptfaktoren:
    • Verfügbarkeit eigener Büroräume,
    • Vorhandensein eines aktiven Bankkontos in der EU,
    • Beschäftigung von ausreichend qualifiziertem Personal oder Vorhandensein von Führungspersonal, das in der Nähe des Unternehmens ansässig ist.
  3. Verpflichtende Berichterstattung: Unternehmen, die als risikobehaftet gelten, müssen ihre Substanz in ihrer Steuererklärung nachweisen. Dies erfolgt durch die Offenlegung relevanter Informationen, die es den Steuerbehörden erleichtern, festzustellen, ob das Unternehmen eine ausreichende wirtschaftliche Aktivität entfaltet.
  4. Vermutung des Fehlens einer minimalen Substanz: Wenn ein Unternehmen eines oder mehrere der Substanzkriterien nicht erfüllt, wird davon ausgegangen, dass es keine ausreichende Substanz aufweist und daher als Briefkastenfirma eingestuft wird.
  5. Widerlegung der Vermutung: Unternehmen haben jedoch die Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen, indem sie nachweisen, dass ihre Struktur aus wirtschaftlichen und nicht aus steuerlichen Gründen besteht. Dies kann durch die Vorlage konkreter Nachweise erfolgen, wie z. B. wirtschaftliche Gründe für die Gründung des Unternehmens oder der Einsatz realer Ressourcen.
  6. Befreiung von den Anforderungen: Ein Unternehmen kann eine Vorabbefreiung beantragen, wenn es nachweisen kann, dass die Unternehmensstruktur keinen steuerlichen Vorteil für das Unternehmen selbst oder seine Eigentümer schafft. Mehr Informationen dazu finden sich im vollständigen Text der Richtlinie.
  7. Automatischer Informationsaustausch: Informationen über Unternehmen, die den Substanztest nicht bestehen und als Briefkastenfirmen eingestuft werden, werden automatisch zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht, um eine transparente Steuerüberprüfung zu ermöglichen.

Steuerliche Folgen der Unshell-Richtlinie

Sollte ein Unternehmen den Substanztest nicht bestehen und die Vermutung der Briefkastenstruktur nicht widerlegen können, hat dies erhebliche steuerliche Konsequenzen. Zu den möglichen Folgen zählen:

  1. Entzug von Steuervergünstigungen: Unternehmen, die als Briefkastenfirmen gelten, verlieren den Anspruch auf bestimmte Steuervergünstigungen, wie z. B. die Befreiung von Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren gemäß der Mutter-Tochter-Richtlinie (2011/96/EU) oder der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie (2003/49/EG).
  2. Steuerliche Rückforderungen: In Fällen, in denen ein Unternehmen fälschlicherweise Steuervergünstigungen in Anspruch genommen hat, können Steuerbehörden Rückforderungen erheben. Diese können zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.
  3. Besteuerung der Aktionäre direkt: In bestimmten Fällen werden die Einkünfte der Briefkastenfirma direkt den Anteilseignern zugerechnet, als ob diese die Einkünfte direkt erhalten hätten. Dies führt zu einer Besteuerung auf der Ebene der Anteilseigner, wodurch die eigentlichen steuerlichen Vorteile einer Briefkastenstruktur verloren gehen.
  4. Negative Auswirkungen auf das Geschäftsimage: Neben den direkten steuerlichen Folgen kann die Einstufung als Briefkastenfirma auch negative Auswirkungen auf das Geschäftsimage eines Unternehmens haben, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit mit internationalen Geschäftspartnern und Investoren.

Auswirkungen auf international tätige Unternehmen und ihre Compliance-Strategien

Die Unshell-Richtlinie stellt eine bedeutende Herausforderung für international tätige Unternehmen dar, insbesondere für solche, die in mehreren EU-Ländern tätig sind und komplexe Steuerstrukturen nutzen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie über ausreichende Substanz verfügen und die neuen Anforderungen der Richtlinie erfüllen, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.

Compliance-Anforderungen:

  • Unternehmen müssen umfassende interne Prüfungen durchführen, um sicherzustellen, dass ihre Strukturen den Anforderungen der Unshell-Richtlinie entsprechen.
  • Besonders wichtig ist es, dass Unternehmen über eigene Büroräume, ein aktives Bankkonto und qualifiziertes Personal verfügen, um die geforderten Substanzkriterien zu erfüllen.
  • Steuerplanungsstrategien, die auf der Nutzung von grenzüberschreitenden Strukturen basieren, müssen überdacht und möglicherweise angepasst werden, um sicherzustellen, dass sie nicht als aggressiv oder missbräuchlich angesehen werden.

Zusammenfassung

Die Unshell-Richtlinie ist ein entscheidender Schritt der Europäischen Union, um aggressive Steuerplanung durch Briefkastenfirmen zu bekämpfen. Sie zwingt Unternehmen, ihre Strukturen auf echte wirtschaftliche Substanz zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie nicht nur aus steuerlichen Gründen existieren.

Unternehmen, die von den neuen Regelungen betroffen sind, sollten proaktiv Maßnahmen ergreifen, um ihre Steuerstrukturen anzupassen und die neuen Compliance-Anforderungen zu erfüllen. Andernfalls drohen erhebliche steuerliche Nachteile, Imageverlust und möglicherweise Rückforderungen von zu Unrecht in Anspruch genommenen Steuervergünstigungen.

Für international tätige Unternehmen ist es unerlässlich, sich intensiv mit den neuen Vorgaben auseinanderzusetzen und sicherzustellen, dass sie den neuen Anforderungen der Unshell-Richtlinie vollständig nachkommen.

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