Der Fall Cadbury Schweppes (C-196/04) ist ein zentrales Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Anwendung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung.
Der Fall Cadbury Schweppes war ein wegweisendes Urteil im Jahr 2006, das sich mit der Frage der Vereinbarkeit nationaler steuerlicher Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung (Controlled Foreign Company, CFC) mit den Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts befasste, insbesondere der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV.
Sachverhalt:
Cadbury Schweppes, ein britisches Unternehmen, hatte zwei Tochtergesellschaften (Finanzierungsgesellschaften: Carbury Schweppes Treasury Services=CSTS & Cadbury Schweppes Treasury International=CSTI) in Irland gegründet, wo ein niedrigerer Körperschaftsteuersatz (10%) für „International Financial Service Centre“ galt. Die britischen CFC-Regeln führten dazu, dass die Gewinne dieser irischen Tochtergesellschaften CSTI in Großbritannien besteuert wurden, als ob sie im Vereinigten Königreich angefallen wären. Dies geschah, obwohl die Gewinne tatsächlich in Irland erzielt wurden und dort auch versteuert wurden. Die Verluste der Tochtergesellschaft CSTS wurden jedoch nicht in Großbritannien berücksichtigt.
Cadbury Schweppes als beherrschende ausländische Gesellschaft argumentierte, dass die britischen CFC-Regeln gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, da sie die Gründung und den Betrieb von Tochtergesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten behindern, insbesondere in solchen mit günstigeren steuerlichen Bedingungen.
Urteil des EuGH:
Der EuGH entschied, dass die britischen CFC-Regeln tatsächlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, weil sie Unternehmen davon abhalten könnten, Tochtergesellschaften in anderen EU-Ländern zu gründen. Eine solche Beschränkung kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie dazu dient, Steuerumgehung oder Missbrauch zu verhindern. Allerdings stellte der EuGH klar, dass eine pauschale Anwendung der CFC-Regeln unzulässig ist. Es muss im Einzelfall nachgewiesen werden, dass die ausländische Tochtergesellschaft keine echte wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und lediglich eine „künstliche Gestaltung“ zur Umgehung von Steuervorschriften darstellt.
Art. 49 AEUV (ex-Artikel 43 EGV)
Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.
Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.
Das Urteil zeigt, wie der EuGH das Prüfungsschema im Bereich der Grundfreiheiten anwendet, insbesondere bei der Beurteilung der Zulässigkeit nationaler Steuerregelungen.
Schutzbereich der Grundfreiheiten
Der EuGH prüft zunächst, ob der Schutzbereich der Grundfreiheiten betroffen ist. Im Fall Cadbury Schweppes war der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV eröffnet, da es um die Frage ging, ob ein britisches Unternehmen Tochtergesellschaften in einem anderen EU-Mitgliedstaat (Irland) gründen darf und welche steuerlichen Folgen dies hat. Die Kapital- und Dienstleistungsfreiheit werden subsidiär geprüft, wenn die Niederlassungsfreiheit aufgrund einer beherrschenden Stellung (Kontrolle über die Tochtergesellschaft) im Vordergrund steht. Der Begriff der Niederlassung bezieht sich auf die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat, wie in Art. 49 Abs. 1 AEUV festgelegt.
Beeinträchtigung durch die Hinzurechnungsbesteuerung
Der nächste Schritt im Prüfungsschema ist die Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten vorliegt. Im Fall Cadbury Schweppes lag eine solche Beeinträchtigung vor, weil die britischen CFC-Regeln (Controlled Foreign Company) dazu führten, dass die Gewinne der irischen Tochtergesellschaften in Großbritannien besteuert wurden, obwohl diese Gewinne in Irland erzielt wurden. Dies stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, weil es die Gründung und den Betrieb von Tochtergesellschaften in Niedrigsteuerländern unattraktiv macht. Der Vergleich mit einem innerstaatlichen Wegzug hinkt, weil es hier nicht um die Verlagerung innerhalb eines Staates, sondern um die Nutzung vorteilhafter Standorte innerhalb der EU geht.
Rechtfertigung und Missbrauch
Der EuGH erkannte an, dass eine solche Beschränkung grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, wenn sie darauf abzielt, Steuerumgehung oder Missbrauch zu verhindern. Allerdings betonte der EuGH, dass eine pauschale Anwendung der CFC-Regeln nicht zulässig ist. Es muss konkret nachgewiesen werden, dass die ausländische Niederlassung als rein künstliche Gestaltung dient, die ausschließlich dazu bestimmt ist, Steuervorteile zu erlangen. Die Gründung einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat begründet nicht die allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung. Eine pauschale Regelung, die jede Niederlassung in einem Niedrigsteuergebiet als missbräuchlich behandelt, ist unzulässig. Nur die Möglichkeit des Vorteilsausgleiches, da eine geringere Steuerbelastung in Irland existiert, gibt Großbritannien nicht das Recht durch eine wenig günstigere steuerliche Behandlung der Muttergesellschaft auszugleichen.
Verhältnismäßigkeit
Der letzte Schritt im Prüfungsschema ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der EuGH entschied, dass Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch nur dann verhältnismäßig sind, wenn sie sicherstellen, dass die betroffene ausländische Niederlassung tatsächlich wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet, dementsprechend die kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben im anderen Mitgliedsstaat vorhanden ist und die tatsächliche Ausübung mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit erfolgt. Das bedeutet, dass objektiv feststellbare Kriterien erfüllt sein müssen, wie das Vorhandensein von Büroräumen/Geschäftsräume, Personal und Betriebsmitteln (Ausrüstungsgegenstände).
Diese Substanzerfordernisse müssen auf konkrete Nachweise gestützt sein, um zu belegen, dass die Niederlassung nicht lediglich eine Briefkastenfirma ist. Überprüfbar ist dieses durch die Amtshilferichtlinie.
Der deutsche Gesetzgeber hat auf dieses Urteil reagiert, indem er die nationalen CFC-Regeln angepasst hat. Zunächst erfolgte dies durch das Jahressteuergesetz 2008, in dem die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung modifiziert wurden, um den Anforderungen des EuGH gerecht zu werden. Im Rahmen des ATAD-Umsetzungsgesetzes (ATAD-UmsG) wurde diese Regelung weiter verschärft (§ 8 Abs. 2 AStG in der aktuellen Fassung). Diese Anpassungen stellten sicher, dass die Hinzurechnungsbesteuerung in Deutschland nur noch dann greift, wenn keine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, und dass die Substanzerfordernisse strenger überprüft werden, um Missbrauch zu verhindern, jedoch gleichzeitig den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit gerecht zu werden.
Hinzurechnungsbesteuerung des Außensteuergesetzes (AStG)
§ 8 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) regelt die Hinzurechnungsbesteuerung, die auf Einkünfte ausländischer Tochtergesellschaften angewendet wird, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Diese Regelung zielt darauf ab, die Verlagerung von Einkünften in Niedrigsteuerländer zu verhindern, indem sie die Einkünfte von sogenannten „Controlled Foreign Companies“ (CFC) dem inländischen Mutterunternehmen zurechnet und diese in Deutschland versteuert.
Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz)
§ 8 Einkünfte von Zwischengesellschaften
(…) (2) Ungeachtet des Absatzes 1 ist eine ausländische Gesellschaft nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft in dem Staat, in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, insoweit einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Dies setzt insbesondere den Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung in diesem Staat voraus. Die Tätigkeit muss durch hinreichend qualifiziertes Personal selbständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. Der wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft sind nur Einkünfte der Gesellschaft zuzuordnen, die durch diese Tätigkeit erzielt werden und dies nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1) beachtet worden ist. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht, wenn die Gesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend durch Dritte besorgen lässt.
(3) Absatz 2 gilt nur, wenn die ausländische Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat.
(4) Die Absätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind.
(5) Eine niedrige Besteuerung liegt vor, wenn die nach Maßgabe des § 10 Absatz 3 ermittelten Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 15 Prozent unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht. (…)
Kernpunkte von § 8 Abs. 2 AStG in der aktuellen Fassung:
- Einkünftezurechnung:
- Es werden Einkünfte einer ausländischen Tochtergesellschaft dem inländischen Anteilseigner zugerechnet, wenn die ausländische Gesellschaft niedrig besteuert wird und bestimmte Passiveinkünfte, wie Zinsen oder Lizenzgebühren, erzielt.
- Niedrigbesteuerung:
- Eine niedrig besteuerte Einkunft liegt vor, wenn die Steuerbelastung im Ausland weniger als 25 % beträgt.
- Wirtschaftliche Tätigkeit:
- Eine wichtige Änderung, die im Zuge der Umsetzung der Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD) eingeführt wurde, ist die Prüfung, ob die ausländische Gesellschaft eine substanzielle wirtschaftliche Tätigkeit im Ausland ausübt. Nur wenn keine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, greift die Hinzurechnungsbesteuerung.
- Substanzerfordernisse:
- Für die Annahme einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit müssen objektive Kriterien wie die Existenz eines tatsächlichen Büros, Personal und Betriebsmittel (Wirtschaftsgüter) nachgewiesen werden.
- Ausnahmen:
- Unter bestimmten Bedingungen kann die Hinzurechnungsbesteuerung vermieden werden, wenn nachgewiesen wird, dass die ausländische Tochtergesellschaft eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und nicht nur zur Steuervermeidung gegründet wurde.
Der Hintergrund von § 8 Abs. 2 AStG ist es, den Missbrauch von Steuervergünstigungen durch künstliche Auslagerungen von Unternehmensgewinnen (durch die Niederlassungsfreiheit) zu verhindern und sicherzustellen, dass der Schutz des Besteuerungsinteresses der Mitgliedsstaaten gewahrt bleibt. So können nur substanzielle und wirtschaftlich aktive Niederlassungen im Ausland von steuerlichen Vorteilen profitieren können. Dieses Konzept wurde durch das EuGH-Urteil im Fall Cadbury Schweppes maßgeblich geprägt.
Diese Regelungen sind eine direkte Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung, insbesondere auf das Urteil im Fall Cadbury Schweppes, das klargestellt hat, dass eine pauschale Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung nicht zulässig ist und immer eine Einzelfallprüfung erfolgen muss.
Der deutsche Gesetzgeber hat auf dieses Urteil reagiert, indem er die nationalen CFC-Regeln angepasst hat. Zunächst erfolgte dies durch das Jahressteuergesetz 2008, in dem die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung modifiziert wurden, um den Anforderungen des EuGH gerecht zu werden.