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Fall De Lasteyrie du Saillant (C-9/02)

Wegzugsbesteuerung

Fall De Lasteyrie du Saillant (C-9/02)

Sachverhalt

Im Fall De Lasteyrie du Saillant (C-9/02) ging es um einen unbeschränkt Steuerpflichtigen, französischer Staatsbürger, der 1998 nach Belgien aus beruflichen Gründen auswanderte und dabei eine wesentliche Beteiligung (über 25%) an einer französischen Kapitalgesellschaft hielt. Nach französischem Steuerrecht gemäß Art. 167a CGI war er verpflichtet, die stillen Reserven dieser Beteiligung zwangsweise aufzudecken und eine fiktive Besteuerung der Wertsteigerung vorzunehmen, obwohl die Beteiligung nicht veräußert wurde. Die Frage war, ob diese Wegzugsbesteuerung mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV vereinbar war.

Prüfungsschema des EuGH

  1. Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit verbietet sowohl die Diskriminierung im Aufnahmestaat als auch im Herkunftsstaat. Der EuGH stellte fest, dass die Niederlassungsfreiheit den Schutzbereich eröffnet, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt, um dort selbstständig tätig zu sein (Primärniederlassung eines selbständig Erwerbstätigen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat). Im Fall De Lasteyrie du Saillant war dies der Fall, da der Kläger aus beruflichen Gründen nach Belgien zog und dort seine Tätigkeit fortsetzen wollte.
  2. Beeinträchtigung der Grundfreiheit Der EuGH prüfte, ob die französische Regelung eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Die Besteuerung der stillen Reserven beim Wegzug ins Ausland war eine solche Beeinträchtigung, da sie nur bei Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat erfolgte. Die Wegzugsbesteuerung tritt nur bei Grenzüberschreitung ein. Bei einer Verlegung des Wohnsitzes innerhalb Frankreichs wäre keine Besteuerung erfolgt. Diese Regelung könnte Steuerpflichtige davon abhalten, ihr Niederlassungsrecht wahrzunehmen. Die Besteuerung von nicht realisierten Einkommen bei Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland führt zu einer Benachteiligung gegenüber Personen , die ihren Wohnsitz im Inland beibehält oder verlegt. Auch der mögliche Zahlungsaufschub, der u.a. an die Leistung von Sicherheiten geknüpft wird, hat beschränkende Wirkung, den der Steuerpflichtige kann die als Sicherheiten geleisteten Vermögenswerte nutzen.
  3. Rechtfertigung Die französische Regierung argumentierte, dass die Wegzugsbesteuerung durch die Notwendigkeit der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle, das Territorialitätsprinzip und die Vermeidung von Steuerumgehung gerechtfertigt sei. Der EuGH erkannte diese Gründe grundsätzlich als legitime Ziele an, die eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen könnten. Die pauschale Unterstellung, dass die Verlegung des Wohnsitzes stets der Steuerumgehung dient, lässt sich nicht rechtfertigen.
  4. Verhältnismäßigkeitsprüfung Der EuGH prüfte schließlich, ob die französische Regelung verhältnismäßig war, d. h. ob sie geeignet, erforderlich und angemessen war, um die genannten Ziele zu erreichen:
    • Geeignetheit: Die Maßnahme war grundsätzlich geeignet, um Steuerumgehung und die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten.
    • Erforderlichkeit: Der EuGH stellte jedoch fest, dass weniger einschneidende Maßnahmen möglich gewesen wären, wie etwa die Möglichkeit eines Steueraufschubs bis zur tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven.
    • Angemessenheit: Der Gerichtshof hielt die sofortige Besteuerung der stillen Reserven für unverhältnismäßig, da sie den Steuerpflichtigen ungebührlich belastete und die Niederlassungsfreiheit unverhältnismäßig einschränkte.

Mögliche Lösung: Feststellung der stillen Reserven zum Zeitpunkt des Wegzugs und Festsetzung im zugeteilten Steuerbescheid mit zinsloser Stundung bis zur nächsten Realisierung. Auch Kontrollmitteilung des Herkunftsstaates sind möglich.

Der EuGH entschied, dass die französische Wegzugsbesteuerung gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, da sie unverhältnismäßig war und über das hinausging, was zur Erreichung der legitimen Ziele erforderlich war. Diese Entscheidung zwang Frankreich dazu, seine steuerrechtlichen Regelungen anzupassen, um sicherzustellen, dass Steuerpflichtige bei Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU nicht diskriminiert werden.

Das Urteil im Fall De Lasteyrie du Saillant ist bedeutsam, da es die Grenzen der steuerlichen Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die EU-Grundfreiheiten aufzeigt. Insbesondere betont es die Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeit nationaler Maßnahmen, die potenziell die Grundfreiheiten einschränken, und stellt klar, dass Steuermaßnahmen, die lediglich auf eine Wohnsitzverlagerung in einen anderen Mitgliedstaat abzielen, im Licht des EU-Rechts problematisch sein können.

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